Wer an gesundheitlichen (Funktions-)Beeinträchtigungen leidet, hat die Möglichkeit, (s)einen Grad der Behinderung feststellen zu lassen.
Dabei sind nicht lediglich unmittelbar sichtbare Behinderungen relevant. Auch mit einer unsichtbaren Behinderung, wie z.B. einer chronischen, einer seelischen oder psychischen Erkrankung kann man den Grad der Behinderung durch einen entsprechenden Antrag bei der zuständigen Behörde – im Saarland das Versorgungsamt – erstmalig feststellen lassen oder eine Verschlimmerung der Beeinträchtigungen geltend machen.
In der Regel stellen die zuständigen Behörden hierfür Formulare bereit.
Was versteht man unter dem Grad der Behinderung?
Der Grad der Behinderung, kurz: GdB, beziffert die Schwere einer Behinderung. Er stellt das Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens dar. Dabei kann der GdB zwischen 20 und 100 in Zehnerschritten variieren, wobei 100 den Höchstgrad darstellt.
Ab wann gilt man als schwerbehindert?
Eine Behinderung ab einem GdB von 50 gilt als Schwerbehinderung. In diesem Fall kann ein Schwerbehindertenausweis beantragt werden, in welchen der GdB und gegebenenfalls die entsprechenden Merkzeichen eingetragen werden.
Unter Merkzeichen versteht man dabei gesonderte Kennungen, welche an den Betroffenen aufgrund des Vorliegens besonderer Beeinträchtigungen neben dem Grad der Behinderung vergeben werden können.
Sinn und Zweck der Feststellung einer Behinderung
Menschen mit Behinderung haben Anspruch auf bestimmte Nachteilsausgleiche. Diese sind abhängig von der Art der Behinderung, aber auch vom Grad der Behinderung.
- Zusätzlicher Urlaubsanspruch
Schwerbehinderte Menschen haben Anspruch auf zusätzlichen Urlaub. Der zusätzliche Urlaub beträgt fünf Tage pro Jahr und wird vom Arbeitgeber gewährt.
- Kündigungsschutz
Schwerbehinderte Menschen unterliegen einem besonderen Kündigungsschutz. Der Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis nur kündigen, wenn er einen besonderen Grund hat und die Zustimmung des Inklusions- bzw. des Integrationsamtes vorliegt.
- Steuervorteile
Schwerbehinderte Menschen haben Anspruch auf verschiedene Steuervorteile. Hierzu zählen zum Beispiel der Behindertenpauschbetrag oder die außergewöhnlichen Belastungen.
- Parkplatz und Befreiung von Parkgebühren
Schwerbehinderte Menschen haben Anspruch auf einen speziellen Parkplatz, der in der Nähe des Arbeitsplatzes oder der Wohnung liegt. Zudem können sie von der Parkgebühr befreit werden.
- Freifahrten im öffentlichen Nahverkehr
Schwerbehinderte Menschen haben Anspruch auf Freifahrten im öffentlichen Nahverkehr, sofern sie einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen „G“ besitzen.
- Ermäßigung bei der Lohnsteuer
Schwerbehinderte Menschen haben Anspruch auf eine Ermäßigung bei der Lohnsteuer. Hierdurch wird der zu zahlende Steuerbetrag reduziert.
- Sonderurlaub für Rehabilitationsmaßnahmen
Schwerbehinderte Menschen haben Anspruch auf Sonderurlaub für Rehabilitationsmaßnahmen. Hierdurch können sie ihre Gesundheit verbessern und ihre Arbeitsfähigkeit erhalten oder verbessern.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einen GdB von mindestens 30 haben, können unter Umständen schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sein und dann auch Anspruch auf bestimmte Nachteilsausgleiche haben.
Das Verfahren der Feststellung
Der Grad der Behinderung wird auf Antrag bemessen. Dies geschieht durch die Auswertung der ärztlichen Befunde, wobei auch ein Gutachter mit der Anfertigung eines Gutachtens beauftragt werden kann.
Liegen mehrere Beeinträchtigungen vor, ermittelt die Behörde einen Gesamt-GdB. Dabei zählt sie hier allerdings nicht die einzelnen Teil-Behinderungsgrade mehrerer Beeinträchtigungen einfach zusammen. Entscheidend für den Gesamt-GdB ist, wie sich einzelne Funktionsbeeinträchtigungen in Relation zueinander und untereinander auswirken.
Die Behinderungen und ihre Auswirkungen werden nicht als voneinander isolierte Beeinträchtigungen betrachtet. Bei der Beurteilung geht man zunächst vom höchsten Einzel-GdB aus. Dann prüft die Behörde im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen, ob sich das Ausmaß der Behinderung dadurch tatsächlich vergrößert.
Grundsätzlich geht es bei der Feststellung der Behinderung nicht um die Art der Erkrankung/Behinderung oder um eine Diagnose, sondern immer um ein Funktionsdefizit, eine entsprechende Dauer -von mindestens sechs Monaten- und die Auswirkung der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.
Liegen mehrere Beeinträchtigungen vor, stellt die Behörde den GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen fest. Dabei richtet sich die feststellende Behörde nach den sogenannten ‚Versorgungsmedizinischen Grundsätzen‘.
Es ist also wichtig, beim Antrag bereits die Auswirkungen und damit verbundenen Beeinträchtigungen im Alltag möglichst detailliert zu beschreiben und durch ärztliche Atteste bestätigen zu lassen.
Rechtliche Grundlage: Die Versorgungsmedizin-Verordnung
Die Kriterien für die Bestimmung des Grades der Behinderung (GdB) sind seit dem 1. Januar 2009 die Versorgungsmedizinischen Grundsätze („Versorgungsmedizin-Verordnung mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“). Die darin enthaltenen Angaben sind als Orientierungsrahmen zu verstehen. Letztendlich ist die Ermittlung des GdB bei einem Menschen aber immer individuell und vom Einzelfall abhängig.
Widerspruch bei Ablehnung
Sollte das Versorgungsamt Ihren Antrag ablehnen, können Sie gegen den Bescheid den Rechtsbehelf des Widerspruchs einlegen. Die Widerspruchsstelle wird ihre Entscheidung sodann noch einmal überprüfen.
Sollte das Versorgungsamt Ihrem Widerspruch nicht abhelfen, besteht die Möglichkeit, gegen den Widerspruchsbescheid binnen einer Frist von einem Monat Klage vor dem zuständigen Sozialgericht zu erheben.
Bei der Klagebegründung ist es wichtig, sich mit den vom Versorgungsamt festgestellten Einzel-GdB auseinanderzusetzen und dem Gericht die tatsächlichen Beschwerden darzulegen. Denn maßgebend ist, dass nicht allein die Diagnose über die Höhe des Grades der Behinderung entscheidet, sondern erst die daraus resultierenden Beschwerden im Alltag des Betroffenen. Das bedeutet, dass dieselbe Diagnose bei zwei Menschen zwei unterschiedliche Einzel-GdB begründen können.
Nachdem die Klage bei Gericht eingereicht worden ist, führt das Sozialgericht Amtsermittlungen durch, indem es die behandelnden Ärzte anhört. Oft wird zusätzlich ein externer Gutachter eingesetzt. Die Kosten hierfür werden regelmäßig durch das Gericht übernommen. Sollten sich die Beschwerden im Laufe des Klageverfahrens verschlimmern und neue Gesundheitsstörungen hinzutreten, ist dies dem Gericht unbedingt mitzuteilen. In der Regel ist der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt die letzte mündliche Verhandlung.
Gerichtsgebühren im Falle einer Klage erheben die Sozialgerichte nicht. Für den Fall, dass das Gericht der Klage stattgibt, sind die angefallen Rechtsanwaltskosten in der Regel vom Versorgungsamt zu übernehmen.
Sollte eine Rechtsschutzversicherung vorliegen, wird diese die Rechtsanwaltskosten regelmäßig übernehmen. Für den Fall, dass ein Kläger/ eine Klägerin aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten eines Rechtstreits nicht aufbringen kann, besteht die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe. Die Rechtsanwaltskosten werden dann vollumfänglich übernommen.
Änderungen des GdB
Sowohl Verbesserungen als auch Verschlechterungen der Beeinträchtigungen können den GdB verändern. Der Grad der Behinderung kann dann neu festgestellt werden. Dazu sind ein Antrag auf Neufeststellung sowie die Einreichung -aktueller- medizinischer Unterlagen oder Gutachten notwendig.
Der GdB kann jedoch nicht nur erhöht, sondern auch herabgesetzt werden. Wird der GdB sodann unter 50 eingestuft, entfällt die Schwerbehinderteneigenschaft.
Sodann durchlaufen Sie dasselbe Prozedere, wie bereits unter dem Punkt Verfahren zur Feststellung des GdB erörtert.
Fazit
Für Betroffene lohnt es sich bei Vorliegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen regelmäßig, ihren GdB feststellen zu lassen. Erfahrungemäß steht und fällt der Erfolg eines solchen Verfahrens jedoch mit der umfassenden Aufarbeitung und Darstellung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen und wie sie sich im Alltag des Betroffenen zeigen. Wir empfehlen daher, sich möglichst frühzeitig anwaltlich beraten und sich durch das Verfahren begleiten zu lassen.
Rechtsanwältin Lea Kaufmann